Äthiopien
Reisebericht Äthiopien: The country of free smile!
Tag 1 (Teil 1): Wunsch, Angst und Begeisterung
Wo soll man anfangen, wenn man zu viel auf einmal sagen möchte, überfordert ist, mit den herausragenden Eindrücken in kurzer Zeit das Wichtigste sagen zu können?
Vielleicht fange ich damit an, was mich überhaupt bewegt hatte nach Äthiopien zu reisen.
Seit nunmehr 15 Jahren bin ich in der Kaffeebranche tätig. In diesem Jahr feiere ich das 10jährige Jubiläum meinen kleinen Unternehmens „Barista World“. Unzählige Trainings habe ich gegeben, immer mit der Vision, möglichst viele Menschen für die Welt des Kaffees zu begeistern. Und immer beginne ich mit einem kleinen Rückblick auf die Geschichte des Kaffees, und zwar dort wo mit Kaffee alles begann: Äthiopien, dem Ursprung aller Kaffeepflanzen, dem Ursprung der menschlichen Geschichte, dem Herkunftsland von „Lucy“, dem ca. drei Millionen Jahre alten Skelett einer Frau, deren Beckenknochen auf einen aufrechten Gang hinweisen. Bis heute ist es das wohl berühmteste Skelett der Welt – für mich ausgesprochen faszinierend, auch wenn Lucy mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weder Interesse an der angehenden Erforschung ihrer Knochen noch an dem Kaffeereichtum ihrer Heimat besaß.
Es war seit Jahren ein Traum, irgendwann einmal nach Äthiopien zu reisen. Aber was würde einen dort erwarten? Ist das Land sicher? Werde ich krank? Habe ich auch wirklich alle Impfungen erhalten? Habe ich die richtige Kleidung? Welche Erkenntnisse werde ich anschließend mitbringen? Halte ich es aus, soviel Armut zu sehen? Wie wird man empfangen?
Als ich von meiner Partnerin hörte, dass Sie für Nordic Approach, einem Spezialitäten Rohkaffee Importeur, eine Gruppenreise ausarbeiten sollte, habe ich mich sofort erkundigt, ob ich mich anschließen darf. Immerhin ist das Reisen unter Gleichgesinnten in einer Gruppe leichter und organisierter, sodass mein Traum nach Äthiopien zu reisen die Angst vor dem Unbekanntem erst einmal beiseiteschob.
Dennoch flog ich mit gemischten Gefühlen nach Addis Abeba, denn die ersten eineinhalb Tage musste ich alleine verbringen. Darüber hinaus waren im weiteren Verlauf der Reise auch noch zwei Tage im Zelt angekündigt.
Am Morgen des 14. Januars war es dann so weit, Treffpunkt im Hotel in Addis Abeba zum ersten gemeinsamen Kennenlernen der Teilnehmer des Origin Approach Events und Einstimmung auf die folgenden Tage. Unsere Reisegruppe bestand aus 12 Nationen: ein Kanadier, zwei Amerikaner, ein Costa Ricaner, zwei Norweger, ein Däne, zwei Holländer, drei Deutsche, zwei Polen, eine Tschechin, drei schottische Damen, zwei Japaner und ein Taiwanese.
Der erste Tag führte uns in den Coffeeshop „Galani“. Hier wurden wir mit sehr gutem äthiopischem Kaffee überrascht, egal ob im Ibrik zubereitet, alle möglichen Kaffeespezialitäten auf Basis eines Espresso einer La Marzocco oder auch als Drip – Filter und sogar Cold Coffee´s waren hervorragend. Wir wurden mit ausgezeichneten Speisen verwöhnt und genossen viele spannende Vorträge in dieser angesagten, unerwartet stylischen Location, in der regelmäßig auch interessante Kunstausstellungen stattfinden. Die Palette der Artikel, die wir hier erwerben konnten, reichte von Kaffee über Honig bis hin zu handgefertigten Produkten und modernem Kaffeezubereitungsquipment.
Viele Vorträge zur äthiopischen Kaffeeindustrie stimmten uns professionell auf die kommenden Tage ein. Wir lernten viel über die Hauptanbaugebiete Äthiopiens: Bale, Harar, Guji, Sidama, Djimma, Limu, Yirgacheffe, Kaffa, Bebeka,Tepi, Wellega, Lekempti usw. Wir erfuhren, dass Äthiopien heute fast 100 Mio. Einwohner hat, die zu 50% Ihren eigen produzierten Kaffee konsumieren. Zudem stellt dieser Kaffee den größten Anteil der nationalen Exportgüter dar – neben Ölsaaten, Gold, Blumen, Textilien, Stoffe und Leder.
Sehr spannend waren die Präsentationen über die Geschichte und Entwicklung der Kaffeeindustrie Äthiopiens, wie zum Beispiel der Liberalisierung um 1990, dass sich die Kaffeeproduktion von 2004/5 bis 2018 von 155.000 Tonnen auf 238.000 Tonnen gesteigert hat und dass es heute an die 500 Exporteure in Äthiopien gibt.
Alle Kaffees mit ausgezeichneter Qualität sind heute jedoch ausschließlich für den Export bestimmt. Die einheimische Bevölkerung erhält ausschließlich minderwertige Kaffees der Qualität Q4-Q5. Wer sich nicht daran hält, dem droht Gefängnis.
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Tag 1 (Teil 2): Kooperativen, Klimawandel und guter Kaffee
J.F. Leduc, Inhaber der Coffeeshop Kette und Rösterei „Saint-Henri“ (Kanada), hatte sich aus einem bestimmten Grund zu dieser Reise entschieden und hörte genau deswegen unter anderem den Vorträgen über die Handelsbeziehungen ausgesprochen aufmerksam zu. Für ihn als Röster waren die jüngsten Veränderungen der ECX „Ethiopien Commodity Exchange“ sehr interessant, da sie mehr Transparenz und einen direkten Einkauf ermöglichten. Bis zu diesem Zeitpunkt war es schwierig, transparente und direkte Einkäufe in Äthiopien zu tätigen. Die aktuellen Veränderungen jedoch erhöhte den äthiopischen Stellenwert für die Röster. Nur zu gerne reisten sie nun mit einem vertrauensvollen und hervorragend strukturiertem Veranstalter in das Ursprungsland des Kaffees, um vor Ort zu kaufen oder sich zu informieren.
„Mit so einer Reise hat man ein besseres Verständnis für die verschiedenen Interessengruppen des Kaffeehandels in Äthiopien und man kehrt mit vielen großartigen Mustern von Exporteuren heim, die man auf der gesamten Reise getroffen hat und bei denen man direkt kaufen kann“, bemerkt J.F. Leduc.
Weitere Vorträge handelten von Nachhaltigkeit, Anbaumethoden und der Tatsache, dass es immer noch schwierig ist, einheimische Farmer von Veränderungen zu überzeugen, die zu hochwertigerer oder besserer Produktivität des Kaffeeanbaus führen würden. Viele Farmen sind nicht größer als 0,5 Hektar und der Anbau von Kaffee in Äthiopien findet heute immer noch in Urwäldern, bewirtschafteten Wäldern, Gärten und Plantagen statt. Etwa 67% der gesamten Produktion besteht aus „washed“ Kaffees, gegraded als Q1 oder Q2. Nur 6,3% dieser Kaffees sind „sundried“. Mehr und mehr werden auch Projektkaffees in der „honey“ oder auch in der „anaeroben“ Aufbereitung getestet.
Die Bio Zertifizierung erweist sich in der Praxis häufig als ausgesprochen schwer umsetzbar, da die Farmer auf ihren Farmen zwischen den Kaffeepflanzen auch ihre eigenen Lebensmittel anbauen. Da sie zum Überleben auf diese Produkte angewiesen sind, ist es ihnen nicht möglich, ihre alt eingesessenen Gewohnheiten kurzfristig umzukrempeln. Darüber hinaus verfügen viele der Farmer nicht über die notwendigen finanziellen Mittel, um sich zertifizieren zu lassen. Die Audits, die dafür nötig wären, verursachen einen enormen Kostendruck, weitreichende Organisation und einen erheblichen Verwaltungsaufwand für die Kooperativen.
Apropos Kooperativen: Hier kümmern sich die Verantwortlichen darum, den Farmern Unterstützung zu bieten und durch die Gemeinschaft mehr zu erreichen. Es ist beispielsweise kleinen Farmern nicht möglich, die gewünschten gewaschenen Qualitäten aufzubereiten. Dies geschieht ausschließlich in Kooperativen, denn dort wird investiert, Kaffees gesammelt, sortiert, aufbereitet, getrocknet und bewertet. Es wird aber auch experimentiert, dokumentiert, geforscht und beraten. So wird Last und Ertrag auf alle Schultern gleichmäßig verteilt. Welche Kaffees es letztendlich in den hochbezahlten Markt der Spezialitätenkaffees schaffen, hängt in erster Linie von einer hohen aussortierten Qualität und einem unverwechselbaren Geschmack und Aroma, sowie der Zurückverfolgbarkeit ab.
Ohne den kommerziellen Markt würden die Farmer und Exporteure keinen ausreichenden Absatzmarkt finden. Da sich die heute 500 Exporteure hier leider gegenseitig regelmäßig preislich unterbieten, bleibt für die Farmer oft nur sehr wenig übrig.
Dennoch hat der Farmer in Äthiopien die Wahl, ob er seinen Kaffee einer Kooperative oder an einer der Sammelstellen dem Höchstbietenden Händler verkaufen will. Er erhält immer den jeweils gültigen Tagessatz für seine abgegebene Menge. In Kooperativen erhält er jedoch möglicherweise eine spätere Zusatzzahlung, sollte der Kaffee als Premium verkauft werden können.
Interessanterweise beeinflusst der Klimawandel Äthiopien zwar erheblich, führt aber kaum oder gar nicht zu Problemen mit dem Kaffeerost. Der Temperaturanstieg zwingt die Anbaugebiete des Kaffees alle zehn Jahre dazu, ein großes Stück höher angesiedelt zu werden und der fehlende Niederschlag bedroht die Pflanzen. Dies führt zu einem Welken der Blätter, ein erheblicher Stressfaktor für die Pflanzen, was sich in kleineren Bohnen bis zu fehlendem Ertrag auswirkt. Die einheimischen Kooperativen kennen diese Entwicklung und haben sich darauf eingestellt.
Die Erkenntnisse über einzelne Kaffeepflanzen sind aufgrund der großen Vielfalt bis heute noch gering. Gezüchtet wird mit Pflanzen, mit denen die Farmer wegen guter Erträge oder ausgezeichneter Sensorik in den letzten Jahren positive Erfahrungen gemacht haben. Die genetischen Untersuchungen stecken noch in den Kinderschuhen. Neue Hybride oder Züchtungen werden recht unromantisch mit Buchstaben katalogisiert.
Die Bezeichnungen der Pflanzentypen: Typica, Bourbon, Geisha, Catuai, usw. existieren in Mitteleuropa beim Verkauf und der Beschreibung der Kaffees so gut wie gar nicht. Die Bezeichnungen der Arabicas (es gibt nur Arabica in Äthiopien) beruhen auf den engeren Regionen des Anbaus, die Aufbereitungen und den individuellen Grad (Qualitätsklassifizierungen).
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Tag 2: Land, Kaffee und fröhliche Menschen
Mit all dem frisch erworbenen Wissen vom Vortag begaben wir uns am darauffolgenden Morgen auf die eindrucksvolle Reise in die Kaffeeregionen. 6,5 Stunden Fahrt lagen vor uns. So wurden wir morgens um 4:00 Uhr auf acht Jeeps aufgeteilt und fuhren in einer unübersehbaren Kolonne Richtung Süden.
Unser erster kurzer Stopp an diesem Tag war an einem der vielen Seen, an denen wir entlangfuhren. Der Sonnenaufgang war so überwältigend, dass alle aus Ihren Jeeps sprangen um Fotos zu machen. Ich bin sicher, dass es so ein stimmungsvolles Licht nur in Afrika gibt. Diese Farben, die Stimmung, vielleicht war es auch die Beruhigung zu wissen, dass es Wunderschönes zu sehen geben wird – und das in Äthiopien, bei dessen Namen doch die meisten Menschen in erster Linie an Dürre, Leid und Hunger denken.
Weiter ging es durch steppenähnliche Landschaften. Die Straßen waren löcherig, doch der Fahrer lenkte den Jeep gekonnt an den Schlaglöchern vorbei. Viele Menschen liefen neben der Straße, sie diskutierten, schauten dem bunten Treiben zu oder überquerten recht unachtsam die Fahrbahn. Wir mussten wiederholt Ziegen, kreuzenden Rinder, Karren mit Eseln oder riesengroßen Trucks ausweichen. Wir waren also in keinem Moment alleine auf den Straßen unterwegs. Wir passierten Dutzende Wellblechbaracken, sahen die typischen kleinen rundgebauten Hütten, die Tukuls, aus deren Dach abends häufig der Rauch aufstieg, da die Frauen auf kleinen Feuerstellen das Essen kochten. Und immer wieder kleine Rinder- oder Ziegenherden. In jeder Stadt, die wir durchquerten, wimmelte es von Menschen. Sie plauderten geschäftig, saßen vor den kleinen Hütten, tranken Kaffee, transportierten ihre Waren auf alten Eselkarren oder schleppten Wasserkanister. Kinder, die in Ihren Uniformen zu Schule schlenderten oder auf Baustellen zwischen den Fahrzeugen spielten und dabei all das sicherstellten, was eine Baustelle so an Steinen hervorbrachte.
Während der gesamten Zeit lag der Abgasgeruch des Verkehrs in der Luft, immer wieder unterbrochen von dem Duft gerösteter Kaffees. Vor unendlich vielen kleinen Hütten oder Häusern waren die Frauen mit der Kaffeezeremonie beschäftigt. Ohne jede Eile rösteten sie den Kaffee, zerstießen ihn und gossen ihn auf.
Nach einer kurzen Pause erreichten wir gegen Mittag die Aragash Lodge, eine wunderschöne und außergewöhnliche Lodge – selbst für Äthiopien. Den ursprünglichen Tukul´s nachempfunden, wurden alle Hütten von Hand kunstvoll erbaut und mit sehr dekorativen Bambusmöbeln ausgestattet. Der Strom der Lodge wird aus einem Mix von Solar Panels und Biogasanlage gewonnen. Alle Lebensmittel, auch der Kaffee zur eigenen Versorgung, wird in dem unmittelbaren Hanggarten in biologischer Weise angebaut, unweit vom Hühnerstall und den angrenzenden Farmern. Schade, dass wir nur zu einem sehr genussvollen Mittagessen bleiben konnten.
Am Nachmittag besuchten wir die erste „Washing Station“ der Sidama Coffee Union Kooperative. Diese wurde 2001 gegründet und repräsentiert heute 53 kleinere Kooperativen mit 85.000 Kleinstfarmen. Hier werden ca. 10.000 Tonnen zertifizierter hochwertiger Bio Arabica produziert, davon ca. 95% washed.
Es beeindruckte unsere Gruppe, wie viele Menschen hier gemeinschaftlich arbeiten. Die Ernte war schon fast abgeschlossen, die letzten „Sunbeds“ noch mit Pergaminos bedeckt. Die Vielfalt der fröhlichen Gesichter und die vielen bunten Farben ließen uns sofort aus den Fahrzeugen steigen. Man hieß uns fröhlich und lachend willkommen. Anfangs spürten wir noch unsere Zurückhaltung, aber nachdem wir herumgeführt worden waren, sorgte die zunehmende Neugierde und Freude der Farmer dafür, dass auch wir die Scheu ablegten und uns zu ihnen gesellten, um viele Fotos zu schießen.
Mit großem Stolz erklärte uns der Vorsitzende der „Washing Station“ alle Einzelheiten der Kaffee-Verarbeitung. Von der Anlieferung der Farmer, erstem Begutachten und Aussortieren, über die Entpulpung, einer erneuten Sortierung (diesmal nach Gewicht), den Fermentationsbecken, dem Aussortieren der Floater im Schwemmkanal bis hin zu den Becken, in denen der Kaffee wiederum gewaschen wird, um schließlich auf den Betten getrocknet zu werden.
Die „Naturals“ wurden in anderen Arealen auf Sunbeds getrocknet und weit entfernt, am Ende des Areals, warfen einige Farmer die getrockneten Kirschen mit Hilfe von geflochtenen Schalen immer wieder in die Luft, um auch für die schlechteren Grades, die für den nationalen Markt verwendet werden, noch Zweige und Blätter auszusortieren.
In dieser wunderschönen grünen Umgebung auf 2000 Meter Höhe, all diese fröhlichen Menschen gemeinsam an einem wunderbaren Produkt mit einer solchen Hingabe arbeiten und lachen zu sehen, hatte etwas so Schönes, dass wir auf der zweistündigen Heimfahrt noch lange über das Gesehene sprachen.
Am Abend wurden wir zu unserer Überraschung an einem Luxushotel mit europäischem Standard und Suite-ähnlichen Zimmern abgesetzt. Die Anlage lag direkt an einem der riesigen Seen mit exklusiver „Wine Bar“ und einem umwerfenden Sonnenuntergang. Unser Essen war an diesem Abend in einem Italienischen Restaurant geplant und obwohl wir alle den Abend gerne noch länger gemeinschaftlich verbracht hätten, gingen wir doch recht früh schlafen. Schließlich war die Abfahrt am nächsten Morgen für 7:00 Uhr angesetzt.
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Tag 3: ….
Am frühen Morgen wurde uns bewusst, dass wir ab diesem Tag im Zelt schlafen werden. Mittlerweile hatten wir uns an das Treiben auf den Straßen und den Fahrstiel der Einheimischen gewöhnt. Nach ca. zwei Stunden erreichten wir die Berge der Oromia Region mit den höchsten Plateaus auf bis zu 2.500 Meter. Hier gab es eine atemberaubende Vegetation. Eukalyptuswälder, Weiden im Wechsel mit dichtem Dschungel und viele kleine versteckte Tukul´s. Am Vormittag erreichten wir die „Washing Station“ Adola im Teilgebiet Guji. Hier, zwischen den Lagerhallen, wurden unsere Zelte aufgestellt.
Adola ist mit 5000 Hektar Kaffeeanbau im nahen Umfeld eine der großen „Washing Stations“ mit über 300 „sunbeds“. Auch hier werden nach der Anlieferung kleinster Mengen Kaffeekirschen mitunter auch verschiedene Aufbereitungen ausprobiert, wie honeys, naturals, density sorting und „Kerchanshe“. Ein sehr qualitätsbewusster, aufstrebender Kaffeeexporteur sammelt hier Kaffee von Kleinstfarmern und entwickelt diese in mühevoller Arbeit zu besserer Qualität, Produktivität und geeigneter Vorbereitung für die „Washing Station“. In dieser Region bewirtschaftet ein Farmer weniger als 1.500 Kaffeesträucher pro Hektar, wobei jede Pflanze nur 200 – 300 Gramm Rohkaffee abwirft. Die Produktivität ist in Äthiopien generell noch sehr stark ausbaubar.
Die Varietäten, die hier angebaut werden, sind ein Mix aus weiterentwickelten Gattungen wie Certo und der lokalen Wolisho. Diese Varietäten werden zusammengefasst als Äthiopische Heirloom, welche unzählige natürliche Hybride der Typica Varietät beinhalten. Neue, weiterentwickelte Varietäten beruhen alle auf diesen ursprünglichen Vorgängerpflanzen.
In dieser fabelhaften, wenn auch ungewöhnlichen Umgebung, durften wir nun nächtigen. Doch zuvor, nach dem Mittagessen, fuhren wir ein weiteres Mal zu einer dritten „Washing Station“.
Anasora – diese 250 Hektar große Farm und Washing Station, im Privatbesitz der „Kerchanshe Trading Company“, liegt auf 2.300 Metern Höhe. Hoch gelegene Anbauhöhen bedeuten für die Pflanze mehr Zeit sich zu entwickeln und einen langsameren Reifeprozess der Kaffeekirsche. Das zeigt sich durch das Mikroklima und die Bodenstruktur als außergewöhnlich im Tassenprofil.
Ganz in der Nähe der Anasora Farm befindet sich eine Schule, die sich gemeinsam mit der Farm um die Ausbildung der Kinder kümmert. Deren Ausrichtung ist, eine Farm ertragreich zu führen und mit dem erlernten Wissen Kaffee produktiv und qualitätsorient anzubauen. Des Weiteren unterstützt die Farm (Kooperative) auch ein Waisenhaus und bildet Kleinstfarmer aus, um gewissenhaft zu wirtschaften. Sie bietet auch finanzielle Unterstützung. „Kerchanshe“ baute unter anderem auch eine Brücke, die für die Versorgung notwendig war, da die Regierung die Finanzierung nicht unterstützte.
Auch hier trafen wir Mitarbeiter an, die sehr fröhlich und dankbar wirkten, gleichzeitig auch stolz und motiviert. Auch sie traten uns offen und neugierig gegenüber.
Als wir in unserer großen Gruppe um die Schwämmkanäle herumstanden und uns der Weg des Kaffees nach dessen Anlieferung erklärt wurde, fand sich eine Gruppe Männer zusammen, die uns mit fröhlichem Gesang Ihre Arbeit zeigten. Sie bewegten den fermentierten Kaffee mit Rechen in dem Schwemmkanal, wie in einem Tanz, rhythmisch und gleichmäßig, vor und zurück, bewegten den Kaffee, wuschen ihn und entfernten den Floater – und das immer mit Stolz und einem Lächeln im Gesicht.
Auch hier wurde uns zum Ende der Besichtigung eine Kaffeezeremonie angeboten. Wir genossen mit einigen der Mitarbeiter den Kaffee mit köstlichem, frisch gebackenem Brot und Softdrinks.
Wir hatten so viele Informationen an diesem Tag erhalten, dass sich unsere Köpfe anfühlten, als würde ein Schwarm Bienen darin herumschwirren. Deshalb verlief der Rückweg zur Adola ausgesprochen ruhig.
Kurz nach unserer Ankunft bezogen wir unsere Zelte. Sie waren bereits mit Matratzen ausgestattet. Anschließend trafen wir uns zum gemeinsamen Abendessen und freuten uns auf ein spannendes Abendprogramm mit äthiopischen Sängern, Tänzern und Tänzerinnen. Es wurde sehr spät, alle tanzten nach der Show. Vor allem die äthiopischen Männer ließen es sich nicht nehmen, zu der mitreißenden Musik, dem weltbekannten äthiopischen Jazz, mit voller Leidenschaft unter klarem Sternenhimmel und ohrenbetäubend, lauter Musik, zu feiern.
Erst um zwei Uhr morgens wurde es stiller. Wir krochen in unsere Zelte und versuchten bei sechs Grad Lufttemperatur so gut es ging zu schlafen. In dem Bewusstsein, dass ein paar Männer mit Gewehren Wache standen.
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Tag 4: Lachende Kinderaugen
Natürlich war die Nacht zu kurz, denn es war kalt und die Geräusche hielten uns davon ab, ausreichend Schlaf zu bekommen. Am frühen Morgen freuten wir uns über die ersten Sonnenstrahlen, die uns etwas aufwärmten.
Heute stand der Besuch einer ortsansässigen Schule mit einer anschließenden kleinen Wanderung auf dem Programm. Was für eine Aufregung – bei uns und den Schülern. Wir wurden mit viel Gekicher und vielen winkenden kleinen und großen Händen begrüßt. In Windeseile hatte es sich herumgesprochen, dass wir angekommen waren. Die Schule, eher eine kleine Hütte, lag mitten in der Natur mit einer großen Wiesenfläche davor und einem kleinen Holzzaun. Als Schattenspender diente ein übergroßer Baum mit einem alten, verrosteten Zahnrad als Schulglocke. Auf den Außenwänden der Schule war auf azurblauem Hintergrund das Alphabet, die Zahlen von eins bis zehn, ein gezeichneter Mensch mit Beschreibungen der Arme, Beine, Schultern, Kopf usw. und Symbolen der sensorischen Fähigkeiten, wie sehen, hören, fühlen und schmecken, aufgemalt.
Innerhalb der Schule standen viele kleine Holzbänke und Holztische, schön in Reihen hintereinander, mit zwei leicht schief aufgehängten Tafeln an der Wand.
Nachdem wir einige Bilder mit den vielen neugierigen Kindern gemacht hatten und alle sich kichernd oder staunend auf den Displays der Handys bestaunt hatten, wurden wir eingeladen, uns die Schule (den Klassenraum) näher anzusehen. Sofort strömten alle mit uns und wir setzten uns gemischt mit Gästen, Kindern, Lehrern und Eltern gedrängt auf die Bänke.
Ein Junge sprach das ABC in seiner Sprache „Oromo“ und wir wiederholten es. Es war ein Spaß für alle und der Lehrer beantwortete anschließend bereitwillig all unsere Fragen. In dieser Schule gab es etwa 250 Kinder von der ersten bis zur vierten Klasse. Die Lehrer geben Ihr Bestes und die Kinder lieben Ihre Schule, auch wenn sie nach ihrer Meinung in Mathematik doch ein bisschen zu viele Hausaufgaben machen müssen. In dieser Region laufen auch die Kleinsten bis zu einer Stunde täglich in die Schule und wieder zurück. Die Stifte, Hefte und Bücher müssen sie selber kaufen, was nicht allen Kindern möglich ist. Daher wurden wir auch immer wieder von kleinen Kindern angesprochen, ob wir nicht Stifte oder Kugelschreiber zu verschenken hätten.
Eine kleine Begebenheit fällt mir in diesem Zusammenhang noch ein: Auf einem unserer Wege sah ich ein paar Jungs Fußball spielen, so wie man es hier und im Rest der Welt auch oft sieht. Nach ein paar Sekunden bemerkte ich, was anders war. Diese Jungen taten nur so. Was fehlte war der Ball. Tore waren da, die Aktionen der Jungs, aber kein Ball. Es sind die einfachsten Dinge, die hier fehlen und dennoch lachten die meisten Menschen, sobald sie uns sahen.
Nach dem kurzen Schulunterricht wanderten wir in einer mittlerweile riesengroßen Gruppe durch eine der Farmen und besuchten die Kaffeesträucher. Jeder von uns hatte vier oder fünf der wunderbaren kleinen Kinder an der Hand. Nach ein paar Erläuterungen zur Ernte und dass das Zurückschneiden der Pflanzen hier nicht, wie in anderen Ländern, üblich ist, gingen wir mit unseren kleinen Fans an der Hand zurück zu den Jeeps.
Alle winkten uns fröhlich zu, als wir abfuhren und viele glückliche Gesichter verrieten, dass es ein außergewöhnlicher Tag für die Kinder und Erwachsenen vor Ort war. So wie für uns.
Ein weiteres Highlight wartete in der „Adola Washing Station“ auf uns. Die Zeremonie „Buna qalaa“. Kaffee wird in der Oromo Region nicht nur traditionell als Medizin, Lebensmittel und Getränk genutzt, sondern auch für soziale Rituale. Dabei wird den Kaffeekirschen ein kleiner Teil abgebissen, die dann in einem Topf über dem Feuer mit Herzsteinen geröstet werden. Nach und nach wird äthiopische Butter dazugegeben. Dieses Ritual ist nicht nur charakteristisch und einzigartig in der Oromo Gesellschaft, wir wurden darüber hinaus während des Rituals von den Ältesten (einem besonderen Rat) geweiht. Eine sehr intensive Erfahrung für jeden von uns.
An diesem Abend gab es ein leckeres, gemeinsames Barbecue. Nach allen Eindrücken der letzten Tage waren wir jedoch etwas müde, so dass die Nachtruhe bereits um 23:00 Uhr begann. Wir schliefen zum letzten Mal in unseren Zelten. Diesmal wusste man, wie viele Schichten Kleidung es brauchte, um über Nacht warm zu bleiben und am nächsten Morgen fit zu sein für die lange Rückfahrt nach Addis.
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Tag 5: Abschied
Nach einem ausgiebigen letzten Frühstück an unserer langen Tafel packten wir alles zusammen und machten uns auf die (eigentlich) zehnstündige Rückreise. Niemand hatte in diesem Moment geahnt, dass sich die Rückfahrt durch den heutigen Feiertag um 6 Stunden verlängern würde.
Heute war Timket, das größte Fest der orthodoxen Christen in Äthiopien. Man feiert die Taufe Christi im Jordan durch Johannes den Täufer. Es ist eine dreitägige Festivität und alle Zeremonien werden mit großem Pomp durchgeführt. An diesen Tagen werden die Tabts jeder Kirche in Prozessionen zu einem Ort in der Nähe eines Flusses durchgeführt, wo der nächste Tag gefeiert wird. Für jede Tafel wird ein spezielles Zelt eingerichtet, in dem die Heiligen der Kirche dargestellt werden. Die Zeremonie wird begleitet von Hymnen und Tänzen der Priester, Trommelschlag, Glockenläuten und Trompeten. Und das geschah inmitten aller Ortszentren, die wir durchfahren mussten. Auch wenn wir dadurch mit sechs Stunden Verspätung erst im Hotel in Addis Abeba ankamen, war es beeindruckend, all die festlich gekleideten Einheimischen zu sehen. Jung und Alt war auf den Beinen, alle in weißer Tracht, mit viel Gesang und Tanz.
Der letzte Tag war dann wieder ganz im Sinne des Kaffee-Business. Wir cupten noch einmal 25 Kaffees in dem Büro von Nordic Approach in Addis Abeba und Israel Degfa, der Inhaber von Kerchanshe, lud uns noch in seine Mühle in Addis Abeba ein, von der aus der Kaffee in die ganze Welt exportiert wird. In Addis gibt es heute etwa 30 Mühlen, denn nur von hier aus darf der Kaffee von Gesetzes wegen exportiert werden. Israel führte uns durch seine beeindruckenden Hallen. Anders als in den „Wet Mills“ in den Kaffeeregionen, herrschte hier Europäischer Standard. Sogar europäische Maschinen kamen hier zum Einsatz, um den Kaffee je nach Wunsch des Kunden zu schälen, zu polieren, zu sortieren und nochmals zu reinigen. Danach lagert der Kaffee bei ca. 17 Grad, bis er zum Versand in die ganze Welt abgerufen wird.
Natürlich cupten wir im Labor noch ein letztes Mal. 45 Kaffees wurden für uns vorbereitet. Aus den Regionen, Kercha, West Arsi, Guji Adola, Bale Mountain, Uraga, Sidamo,Yirgacheffe, Limu und so weiter. „Washed“ Kaffees, „Naturals“, Grade 1 und Grade 2 , anaerobe Aufbereitung, Honeys….die Übersicht zu behalten war schwer. Ich fand jedoch schnell meinen Favoriten, den „washed Kercha Grade 1“.
Vielleicht finde ich ihn zukünftig sogar einmal in einer der deutschen Spezialitäten Röstereien.
Am Abend saßen wir in einem der besten Hotels in Addis Abeba beim Essen. Unsere Reise ging zu Ende. Die Stimmung unter der Gruppe war gedämpft. Alle waren sich bewusst, dass wir uns möglicherweise sehr selten wiedersehen würden. In den Tagen waren wir uns alle sehr vertraut geworden. Dank Hortensia lief unser Programm immer auf die Minute pünktlich ab. Gemeinsam hatten wir viele eindrucksvolle Momente erlebt – und immer war uns Fröhlichkeit, Neugier, Herzlichkeit und ein Lächeln entgegengebracht worden. Das verbindet.
Was bleibt, ist das Wissen, dass man sich selber eine Meinung zu einem Land machen muss. Es gab kaum jemanden in meinem Freundeskreis, der mich begleitet hätte. Aber ich kann sagen, dass es all die Mühe wert war. Alle Reisen, die ich mit Hortensia und dem Thema Kaffee bisher gemacht habe, haben mich zu unglaublich faszinierenden Menschen geführt. Menschen, die für die gleiche Leidenschaft täglich aufstehen wie ich es tue. Man trifft sich nicht als Tourist, nicht als Käufer oder Verkäufer. Auf diesen Reisen trifft man sich als Partner und Gleichgesinnte. Was mich weiterhin antreibt und warum ich mich weiter für Spezialitäten Kaffee einzusetzen werde ist, dass ich Menschen helfen will, die nicht einmal über ausreichend sauberes Trinkwasser verfügen. Es fehlt ebenso an Elektrizität, um ein Land wie Äthiopien weiter zu entwickeln. Was kann man also tun? Nicht die Zertifizierungen sind es, die den Menschen im Ursprung helfen. Es ist die Achtung vor Qualität und die Transparenz unseres täglichen Kaffees. Wenn wir hierauf gesteigerten Wert legen, so wird auch etwas im Ursprung ankommen. Die geeigneten Kooperativen kümmern sich um ihre Farmer und Ihre Regionen, so dass sie eine zukunftsorientierte und wirtschaftlich stabile Region entwickeln könnten.
Mit relativer politischer Stabilität ist Äthiopien seit einigen Jahren auf Wachstumskurs. Die beständigen Wachstumsraten von 7% sind auf den Exportsektor und auf die Verbesserung der Infrastruktur und der Bildung zurückzuführen. Steigende Auslandsinvestitionen und geplante staatliche Einlagen in den Landwirtschafts- und Energiesektor werden die wirtschaftliche Entwicklung des Landes weiterhin positiv beeinflussen und zum makroökonomischen Gleichgewicht beitragen.
Ich freue mich, wenn wir mehr und mehr Menschen mit in die Ursprungsländer nehmen können, um diese Chancen während unserer Touren zu erkennen und zu verstehen.